NPR Berlin, 7. Februar 2017

So geht Insiderhandel

Gespräch: Ein in den USA erschienenes Buch befasst sich mit einem aufsehenerregenden Finanzskandal

NPR Berlin, in der Hauptstadt auf UKW zu empfangen, wo es seit 2006 sendet, ist eine Station der Abteilung "Worldwide" von NPR, des US-amerikanischen non-profit National Public Radio.
In "Fresh Air", einer werktäglichen Interview-Sendung, unterhielt sich Dave Davies mit der Finanzexpertin und Autorin Sheelah Kolhatkar über einen 2012 aufgedeckten Fall von Insiderhandel, in den einer der erfolgreichsten Investoren der Wall Street, der mehrfache Milliardär Steven A. Cohen, und seine Firma, der Hedgefonds SAC Capital, verwickelt waren. Kolhatkar widmete dem Fall ihr Buch "Black Edge. Inside Information, Dirty Money, and the Quest to Bring Down the Most Wanted Man on Wall Street", das im Februar 2017 erschien. In den Worten von Moderator Davies "a fascinating read". Kolhatkar bezeichnet Cohens Werdegang als den „vom Tellerwäscher zum Millionär“ ("rags-to-riches story that people in the financial world love"). Der 1956 geborene Investor gründete seinen Hedgefonds SAC Capital (benannt nach seinen Initialen) 1992 mit 25 Millionen Dollar und wurde sehr schnell enorm erfolgreich. Hedgefonds mit ihrer spekulativen und gleichzeitig risikoreichen Anlagestrategie dominierten mit der Zeit aufgrund hoher erzielter Renditen die Finanzmärkte.

Erfolgreicher Hedgefonds – mit rechten Dingen?

Von Anfang an erzielte SAC Capital traumhafte Renditen – 30 Prozent waren normal, auch 100 Prozent wurden erreicht. Nur 2008, im Jahr der Finanzkrise, verlor die Firma Geld. Die Wall-Street-Konkurrenz begann zu vermuten, dass diese Erfolge nur mit verbotenem Insider-Handel zu erreichen sein konnten. Nachdem Sheelah Kolhatkar, wie sie erzählt, begonnen hatte, sich für SAC Capital zu interessieren, kam heraus, dass das FBI gegen Insider-Handel ermittelte.

White, gray, black edge

Was unter Insider-Handel zu verstehen ist, erklärt Sheelah Kolhatkar anhand des Titels ihres Buchs: "… Wall Street and hedge funds in particular are driven on information. […] the better information you have, the more money you're going to make." Der Begriff, der an der Wall Street für „Information“ verwendet wird, ist "edge." Bei SAC Capital wurde ein System entworfen, um "edge" nach ihrem Wert zu klassifizieren: "White edge" ist für jedermann verfügbare legale Information, wie Jahres-oder Quartalsergebnisse. "Gray edge" – wie der Name schon sagt, eine Grauzone – ist zum Beispiel eine Info von einem Firmenverantwortlichen, die auf ihren Wert nicht so genau einzuschätzen ist. "Black edge" schließlich ist eindeutige Insider-Information – nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, aber von höchstem Wert für Finanzjongleure ("material non-public information that was likely to move the stock"). Und davon, so schärfte es einer von Cohens Managern seinen Angestellten ein, sollten sie die Finger lassen, wenn sie nicht im Knast landen wollten. 
Insgesamt gaben Hedgefonds gewaltige Summen aus, um an brauchbare Information zu kommen. Ein Bedarf, den neue Dienstleister decken wollten: "Expert network firms" entstanden, um zum einen Tradern und Analysten den Zugang zu komplizierter Materie – wie auf medizinisch-pharmazeutischem oder technologischem Gebiet – zu erleichtern, aber auch um Kontakte zu Firmenvertretern herzustellen.

Als das FBI begann, Hedgefonds genauer unter die Lupe zu nehmen, nahm es sich diese vor, als ginge es um organisiertes Verbrechen – Telefone wurden angezapft, Informanten gewonnen. Einer der besten FBI-Agenten, B.J. Kang, erkannte schließlich die Wichtigkeit der von Hedgefonds hochbezahlten Experten und Berater. Die Ermittler begannen, auf diese ein genaues Auge zu werfen. 

Dr. Sid Gilman und Mathew Martoma

Auf medizinischem Gebiet, wie bei der Entwicklung neuer Medikamente, kann auf den Finanzmärkten, wenn man frühzeitig über kursbewegende Informationen beispielsweise einer Pharmafirma verfügt, viel Geld verdient werden. Steve Cohens Hedgefonds unternahm große Anstrengungen, um an Dr. Sid Gilman, einen führenden Erforscher der Alzheimer-Krankheit heranzukommen. Wie anderen Wissenschaftlern auch, war es Gilman verboten, über seine Forschungen zu sprechen.
Bei SAC Capital verfolgte ein Analyst namens Mathew Martoma die Entwicklung eines neuen Alzheimer-Medikaments, das für einen Hedgefonds, wenn er auf das richtige Pferd setzte, enorme Gewinne versprechen konnte. Die Pharmafirmen Elan und Wyeth finanzierten kostspielige Medikamententests. Martoma gelang es, mittels "expert network consultants" einen Kontakt zu Sid Gilman herzustellen, der für Elan eine führende Rolle bei den Tests einnahm und schriftlich zu Verschwiegenheit verpflichtet war. Martoma gewann – quasi als Sohn-Ersatz – das Vertrauen Gilmans, der selber einen Sohn verloren hatte und unter Einsamkeit litt. Bereits zuvor hatte sich SAC Capital mit Aktien von Elan und Wyeth im Wert von nahezu einer Milliarde Dollar eingedeckt – auf Martomas Einschätzung vertrauend, das Medikament werde zu einem Riesenerfolg. Unter den Kollegen bei SAC Capital war dies durchaus umstritten. 
Martoma selbst erfuhr bei einem Besuch bei Dr. Gilman in Michigan von den abschließenden Medikamententests, die er auf dem Computer des Wissenschaftlers fand. Nach einem Telefongespräch zwischen Martoma und Cohen an einem Sonntag begann SAC am darauffolgenden Montagmorgen seine Aktien von Wyeth und Elan abzustoßen – Martoma hatte erfahren, dass mit dem neuen Medikament kein Durchbruch für die Heilung der Alzheimer-Krankheit zu erwarten sein würde. Erst eine Woche später sollte auf einer wissenschaftlichen Konferenz das Ergebnis der Medikamententests öffentlich gemacht werden.

Anklage – aber nicht gegen Cohen selbst

Die Schlinge um Steve Cohen zog sich enger zusammen. Juristen der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC (Securities and Exchange Commission), FBI-Agenten und weitere Strafverfolger waren auf seiner Spur. Sie hatten bereits Schuldeingeständnisse von mehreren Angestellten Cohens. Martoma und ein weiterer SAC-Manager, Michael Steinberg, würden sich vor Gericht verantworten müssen. Ziel war es, handfeste Beweise gegen Cohen wegen Insiderhandels zu erlangen. Das Telefongespräch zwischen Martoma und Cohen kurz vor dem Aktienverkauf reichte allein noch nicht, da sein Inhalt nicht bekannt war. Martoma schwieg sich aus. Er und Steinberg wurden 2014 zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Beweiskette gegen Cohen aber wies Lücken auf. Die Anklagevertreter debattierten heiß, ob sie genug in der Hand hatten, um einen Prozess zu gewinnen. Sie entschieden schließlich, nicht gegen Cohen selbst, sondern gegen seine Firma SAC Capital zu klagen. Es endete mit einer Bußgeld-Zahlung von mehr als einer Milliarde Dollar – einer Summe, die Cohen als alleiniger Eigentümer von SAC Capital zu zahlen hatte. Außerdem wurde die Firma geschlossen.
Die SEC errechnete später den gesamten „illegalen Gewinn“, den SAC erzielte, auf 275 Millionen Dollar ("… which […] made it the largest insider trading case we have ever seen in terms of actual profits", so Kolhatkar). Dies beinhaltete auch eigene „vermiedene Verluste“ ("avoided losses") und das erlaubte Wetten auf Verluste der Aktien von Elan und Wyeth, das heißt, SAC verdiente Geld bei fallenden Kursen der Titel.

Cohen bleibt unbehelligt

Kritiker brachten vor, dass Cohen persönlich, obwohl Eigentümer von SAC, gar nicht behelligt wurde. Das Bußgeld – wenn auch gigantisch für eine Einzelperson – schränkte nicht einmal Cohens Lebensstandard ein: Ihm blieben 10 Milliarden Dollar eigenes Vermögen, und er konnte als Investor weitermachen wie bisher, wenn auch im wesentlichen nur mit der Anlage seines persönlichen, privaten Vermögens. Ab 2018 darf Cohen wieder einen Hedgefonds gründen.

Die Fortsetzung in dieser Angelegenheit war dann aber ernüchternd: Der wegen Insiderhandel verurteilte Michael Steinberg legte Berufung ein. Das Berufungsgericht entschied, dass bei die Finanzmärkte beeinflussender Information aus zweiter oder dritter Hand – wenn diese also über mehrere Stationen gewandert ist – eine Anklage beweisen muss, dass derjenige, der die Information erhält, weiß, dass es sich um Insider Information handelt. Daraufhin wurden die Verurteilungen gegen Steinberg und andere Hedgefonds-Trader aufgehoben. In Zukunft wird es schwieriger, eine Verurteilung wegen Insiderhandels zu erwirken. 

"I think there were a lot of things going on in the financial world that were not legal, not ethical", sagt Sheela Kolhatkar im Verlauf dieses Gesprächs. Vergangenheit sind diese Praktiken aber bestimmt nicht, möchte ich hinzufügen.

(Dieser Text bezieht sich – bei wenigen Ergänzungen – auf das Transkript des Gesprächs.)

Weiterlesen: 
- Ausführliche Leseprobe von Kolhatkars Buch.
- „Ein Magier wird entzaubert“ von Heike Buchter (zeit.de, Januar 2013).

"Black Edge" Recounts The Biggest Insider-Trading Scandal In History

[Moderator Dave Davies spricht mit der Buchautorin Sheelah Kolhatkar]

NPR Berlin, Reihe: Fresh Air
7. Februar 2017, 18.06 Uhr, 54 min.